Samstag, 14. März 2020

Programmheft: Interview „Kollektives Erleben“

Kollektives Erleben


Die Regisseurinnen Julia Lwowski (JL) und Franziska Kronfoth (FK) im Gespräch mit Dramaturgin Julia Anslik

Warum nennt ihr euch „Hauen und Stechen“? 
FK: Unser Galerist Thilo Mössner hat den Namen für unsere Opern-Performance-Reihe in der Berliner Galerina Steiner erfunden. Von dieser Reihe ging der Name dann auf das Kollektiv über.



Wie würdet ihr die Theatersprache von Hauen und Stechen beschreiben?
JL: Wichtig ist das epische Moment in unseren Stücken: Dass man versucht, die vierte Wand zu durchbrechen und man so weit wie möglich den Zuschauer wahrnimmt. Der Darsteller ist nicht nur als Medium vorhanden, sondern kann als Mensch dort sein, nicht nur in seiner Rolle zum Beispiel als Orfeo. Wir versuchen, eine Art Dialog zu schaffen zwischen der Bühne und dem Publikum, dem Zuschauer. Darin liegt auch die Schönheit oder die Einzigartigkeit der Aufführung.

Was interessiert euch besonders an Monteverdis „L’Orfeo“?
FK: Monteverdi hat seinen Orfeo für einen unglaublich virtuosen Sänger geschrieben. Das steht in einem fruchtbaren und spannungsvollen Gegensatz zu der Figur eines todes-verliebten, todes-sehnsüchtigen Orfeo. Oft wird es bei Monteverdi auch sehr philosophisch. So baut er eine weitere Klausel ein, unter der Pluto, der Gott der Unterwelt, Euridice gestattet, Orfeo zurück ins Leben zu folgen: Seine Gattin Proserpina müsste dann für immer bei ihm in der Unterwelt bleiben. Aber das Leben auf der Erde, die Jahreszeiten, beruhen gerade auf ihrer Wanderung zwischen Oben und Unten. So wurde es ausgehandelt zwischen Plutone, Zeus und Demeter. Das bedeutet: wenn mit Euridice einer Toten die Rückkehr in die Welt der Lebenden gestattet wird, kann nichts mehr wachsen, das Leben selbst würde verlöschen und verschwinden. Hier finden wir also ein Plädoyer dafür, diese Zyklen anzuerkennen. Gleichzeitig gibt es bei Monteverdi viel Raum für den Schmerz, das Trauern, was musikalisch zutiefst berührend ist und immer wiederkehrt.

Welche Themen sind für euch zentral in „M’Orpheo“?
FK: Eines von ihnen ist der verpasste Abschied von Euridice, den Orfeo nachholen will. Was hat diese Liebe konkret in seinem Leben bedeutet, was fehlt ab jetzt? Warum will Orfeo so sehr kämpfen?
JL: Wir haben versucht, Euridice stärker zu zeichnen und ihr eine größere Emanzipation, eine größere Selbständigkeit zu geben.
FK: Ein weiteres Thema ist – übergeordnet – Orfeo als Künstler, dessen Kunst die Gesetze der Welt verändert, also ganz konkret etwas bewegt. Sie ist wirksam, und Orfeo ist nicht allein, sondern viele, seine Omnipotenz splittert sich auf. Vielleicht wird sie dadurch noch größer, wirksamer und zu einer Möglichkeit für alle.
JL: Was uns interessiert ist die Kollektivität des Künstlers, gerade deswegen, weil wir selbst ein Kollektiv sind und wir stark daran glauben, dass man in einer Gruppe und mit gemeinsamer Kraft den Tod besiegen kann, mit gemeinsamer Kraft und unterschiedlichen Talenten in die Unterwelt gelangen kann, und mit dem Tod konkurrieren darf.

Welches Potenzial liegt im Aufeinandertreffen verschiedener Musikstile?
FK: Unser Versuch ist, dass das Musizieren erlebbar wird: einerseits durch Musiker, die nicht im Graben versteckt, sondern sichtbar sind, andererseits auch durch das Infragestellen der „perfekten“ Orfeo-Stimme in einer sehr bunten Besetzung mit einer Mezzosopranistin, einem Sopranisten und einem Performer, sowie durch das Zelebrieren von musikalischer Improvisation und Verzierungskunst. Elektronische Musik ist für viele Menschen ein existentieller Ausdruck von Leben und Lebendigkeit. Sie ist eine der Musiken unserer Zeit. Unsere Zeit hat sie gemacht und umgekehrt ist sie eine Ausdrucksform unserer Gegenwart. In einem Stück, in dem es so stark um unsere Verbindung zu Leben und Tod, um die Linien zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft geht, ist dieses Experiment – was kann elektronische Musik im Musiktheater, wohin führt sie uns? – absolut wichtig.

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