Dienstag, 25. Februar 2020

Interview: Monteverdi trifft auf Techno

Die Regisseurinnen Julia Lwowski und Franziska Kronfoth im Interview mit Julia Anslik, Dramaturgin

Julia Lwowski
Franziska Kronfoth


Claudio Monteverdi verarbeitete den antiken Mythos in seinem „L’Orfeo“ von 1607, der ersten vollständig erhaltenen Oper. Das Kollektiv „Hauen und Stechen“ befragt auf dieser Grundlage den Orpheus-Mythos nun in einer Musiktheaterperformance aus heutiger Sicht. Die Regisseurinnen Julia Lwowski (JL) und Franziska Kronfoth (FK) sprachen mit Dramaturgin Julia Anslik über diese Reise zum Ursprung des Musiktheaters.

Nach eurer Inszenierung von Georg Philipp Telemanns „Orpheus“ in Hamburg setzt ihr euch nun erneut mit dem Orpheus-Mythos auseinander. Was interessiert euch daran?
FK: Es ist ein Mythos, der sich mit dem Geheimnis des Todes genauso beschäftigt wie mit dem Geheimnis des Lebens. Oder der Verzahnung dieser beiden Welten ineinander, dem Austausch. Jemand stirbt, das ist schrecklich, es löst Trauer aus, Ängste, Verlorenheit. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der anderen Seite. Das ist eine Form der Bewältigung. Und ein Zeichen dafür, den Tod nicht auszuschließen aus dem Leben, was heute immer mehr eine Gefahr ist. Wenn der Tod nicht sein darf, wie soll man dann trauern?

Was sind für euch darüber hinaus Kernthemen in „M’Orpheo“?
JL: Es geht uns auch um die Kollektivität des Künstlers. Nicht mehr der einzelne, männliche Künstler sollte die Macht haben, die Höllentore zu öffnen und alle Steine zum Weinen zu bringen, sondern auch das Verschrobene, das Weibliche, das Androgyne, das Vielseitige – das ist ein großes Thema bei uns. Ein anderes großes Thema ist die Frau. Wir versuchen Eurydike stärker zu zeichnen, aber auch Orpheus ist manchmal eine Frau und wird manchmal auch von einem Sopranisten – also mit einer weiblichen Stimme – gesungen. Es ist sehr wichtig für uns, dass der Orpheus-Mythos nicht mehr männlich behaftet bleibt, sondern sich weiterentwickelt. Und natürlich ist das Thema der Zwischenwelt und der Unterwelt extrem interessant – also was ist der Tod? Was bedeutet der Tod? Was bedeutet diese Zwischenwelt, also das Wagnis des Todes: sich zu trauen, in den Tod zu steigen, in das Nichts, in die Angst?

Welche sind die typischen Merkmale eurer Theatersprache und was unterscheidet eine Musiktheaterperformance vom klassischen Opernbesuch?
FK: Wir versuchen ein Erlebnis zu schaffen und keine Aufführung, bei der man sich sicher und gemütlich im Theatersessel zurücklehnen kann. Die Inszenierung ist so gebaut, dass es Zwischenräume gibt für Dinge, die in jeder Aufführung anders passieren können: Interaktionen mit dem Publikum, Szenen, die zwar einen Fahrplan haben, aber durch Improvisation und Humor jeden Abend ein bisschen anders sind.
Die Sänger und Performer übernehmen im Laufe des Abends verschiedene Rollen, die uns gemeinsam die Geschichte, oder vielmehr: Geschichten erzählen.
JL: Wichtig ist, das Werk in all seinen Facetten und all seinen Farben zu entdecken, und die Möglichkeiten der Kunst auszuloten. Wir schrecken nicht davor zurück, auch Texte, andere Musik, die auf die Oper Bezug nimmt, Filme oder Szenen aus anderen Theaterstücken einzuarbeiten. So entsteht eine Art Prisma aus diesen tausenden Farben der Kunst und der Auseinandersetzung mit dem Stoff.

Ihr widmet euch in euren Arbeiten oft bekannten Opernklassikern wie „Carmen“, „Fidelio“ oder „Tristan und Isolde“. Wie sieht die Auseinandersetzung mit solchen Werken dann aus?
FK: Es ist eine Auseinandersetzung sowohl mit dem Werk selbst als auch mit seinen Gespenstern. Also einmal: Was ist das für eine Geschichte? Was berührt uns darin? Worüber lachen wir? Worüber wundern wir uns? Was wollen wir geraderücken und neu erzählen? Und dann gibt es noch ein Netz, das Verbindungslinien spannt. Bei den Klassikern gibt es eine Rezeptionsgeschichte, mit der wir auch umgehen wollen. Aber es gibt auch andere Kunstwerke aus der Literatur, der bildenden Kunst, dem Film, der Philosophie und natürlich Begebenheiten aus unserem Leben jetzt und hier und heute – die weisen Parallelen und Bezüge zu der Oper auf, an der wir arbeiten. Und diese Verbindungslinien versuchen wir mit einzubeziehen, mit dem assoziativen Material gemeinsam über die Oper nachzudenken, sie anders zu ergründen, weil man sich an bestimmten Punkten mehr Zeit nimmt.

Was versprecht ihr euch in „M’Orpheo“ vom Aufeinandertreffen der Musik Monteverdis und neuen elektronischen, technoiden Klängen?
JL: Wir wünschen uns eine Öffnung und dass sich Monteverdis Musik sowie die elektronische Musik zu etwas Neuem verbinden. Dass sich die elektronische Musik genau dort öffnet und uns genau dort die Stellen noch einmal neu entdecken lässt, die bei Monteverdi zu kurz kommen oder gar nicht da sind. Zum Beispiel den Moment, in dem Orpheus sich umdreht. Wir würden ihn gerne ausweiten, mehr darüber sprechen, innehalten. Da kann uns die elektronische Musik neue Welten eröffnen. Oder die Stelle von der Fahrt in den Hades: Diesen Moment der Zwischenwelt würden wir auch gerne verstärken. Und die technoiden, vielleicht dunklen, tiefen Klänge können uns noch besser erklären, was Monteverdi uns – auch mit den schönsten und verrücktesten Klängen – versucht hat, zu erzählen. Wir haben das Gefühl, dass man mit der modernen Tonsprache noch einmal tiefer und rabiater, fast aggressiver an manche Stellen herantreten kann, die uns jetzt mit unserem Ohr im Jahre 2020 bei Monteverdi fast eher sanft erscheinen.
FK: Wir wollen unter die Oberfläche der Musik Monteverdis blicken. Auch durch das Aufeinanderprallen mit einem anderen „Anfang“: nicht der Anfang der Oper, sondern der Anfang der elektronischen Musik. Der bringt eine Härte, eine maschinelle Metrik hinein, die den zarten Bau einer frühbarocken Struktur aufblühen lassen kann – durch den Gegensatz und durch den Charme der ja auch schon wieder „alten“ Klänge der ersten Synthesizer.

Das Interview war ein Beitrag für die Theaterzeitung Nr. 4 der Spielzeit 2019/20, erschienen am 15.2.2020

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